Unter der Haut ein Berg
erscheint im September 2025 beim 
 Caracol Verlag.

 

... Sicher war es auch der Name, dem ich nicht widerstehen konnte: Tierra del Fuego, Feuererde. Als ich endlich in Ushuaia ankam, mitten in der Nacht, war es erstaunlich hell, erst nachher fiel mir ein, dass so nah an einem der Pole die Nacht bisweilen verschwindet. Etliche Stunden zuvor, an der Grenze zu Chile, nach einer endlos langen Fahrt, hatten wir ein paar Stunden warten müssen. Die Grenzwächter waren kurzfristig im Streik, ich hatte es nicht recht verstanden, wurde jedenfalls langsam nervös, weil ich Angst hatte, das Hostel in Ushuaia würde bei meiner Ankunft schon geschlossen sein. Ich hatte bereits die Nacht zuvor in einem Busbahnhof, auf einer Bank, halb sitzend an meinen Rucksack gelehnt, übernachtet. Mit einem Chilenen zusammen, der am Boden schlief, einen Arm in einer Schlaufe seines Rucksacks.  

 

Er und sein Rucksack bewegten sich im Laufe der Stunden stückweise auf mich zu, als ob es da irgendeine magnetische Kraft gäbe oder er so möglicherweise etwas gegen die nächtliche Verlorenheit tun wollte, vielleicht ohne es zu wissen, jedenfalls fand ich es eigentlich nicht bedrohlich, was mich im Grunde erstaunte, aber es irrten auch sonst immer wieder Leute durch die Wartehalle. Und es erinnerte mich unweigerlich an eine andere Begegnung, früher auf dieser Reise, es war draußen in einem Park, und der andere war kein Mensch, sondern ein Hund. Es gibt viele Hunde in Argentinien und sie kommen und gehen, wie sie wollen. Du sitzt irgendwo, vielleicht auf einer Wiese, und so ein leicht geduckter Vierbeiner schiebt sich Stück um Stück zu dir hin, ohne dich auch nur einmal anzuschauen. Als ob er kein großes Aufsehen davon machen wollte, sondern nur eben die Gunst der Stunde nutzen und ein wenig Nähe suchen. Schließlich liegt er just an deiner Seite, aber ohne dass eure Körper sich berühren, was dich wiederum berührt. Ihr sitzt oder liegt eine ganze Weile so dort, nebeneinander, bis ein weiterer Hund sich nähert, dann ist der Frieden vorbei, sie beginnen einander anzukläffen und du stehst auf und gehst ...

Übers Buch

Die Protagonistin Fred hat ihre Erwerbsarbeit aufgegeben, weil sie den Lärm in Kopf und Leib nicht mehr aushält. Sie will schreiben, um Klarheit zu schaffen. Dafür muss sie sich an Vergangenes erinnern, was ihr nur gegen erheblichen Widerstand möglich ist. Sie braucht eine Ansprechperson und bestimmt dafür ihre schon längere Zeit verstorbene Schwester Louise. Sie beginnt beim Naheliegenden, ihrem Schreib- und Wohnort, erzählt von einer ihr noch lebhaft gegenwärtigen Reise nach Argentinien, von einem Ort am Ende der Welt, von Begegnungen mit Tieren und Landschaften, und nähert sich so stückweise weiter Zurückliegendem: dem Suizid ihrer Schwester, den Übergriffen, die sie als Kind durch deren Ex-Freund erfuhr, deren Erinnerung sie plötzlich noch weiter zurück zum Vater führt. Dazwischen schaut sie aus dem Fenster ihres Dachzimmers, sieht vorbeifliegende Vögel, einen Baukran, hört die Geräusche der Stadt und des Hauses, fährt mit dem Fahrrad durch die Strassen, durch den Wind, den Regen, hält dem grimmigen Ernst ihr Lachen entgegen, verpflegt sich aus dem Kühlschrank.

 

Für Fred kennzeichnend sind: eine Verwirrung, die in ihr lagert und sie ständig stört, die Mühe, ihr Sein als wirklich zu begreifen, die Flutungen, die ihren Leib heimsuchen, ein Spott, der unaufhörlich an allem frisst, was jetzt ist, das unverbrüchliche Verlangen, vorwärtszugehen, ein lustig grimmiger Trotz, das Postulat einer ureigenen Handlungsmacht. Und die Frage: Was ist zu sehen, wenn man schaut, und wie hält man es aus. Und wie geht Schauen. 

 

Textstruktur und Sprachrhythmus nehmen das Verstörende auf und suchen es mit der Leichtigkeit zu verbinden, ohne die nicht zu leben ist und die im schallenden Gelächter, im listenreichen Trotz oder im Flug der Mauersegler zu finden sein mag.

 

Der Text ist autobiografisch und ist es nicht. Die Autorin suchte eine Ordnung für Anwesendes.