Der Berg erscheint im September 2025

beim Caracol Verlag.

 

 

Du siehst einen Kran. Rot steht er und aufrecht, nicht das leiseste Zittern. Das fahle Weißblau des Himmels ist still, der Tag ist ein Tag. Ist ein Tag. Und dir graut.

 

Am Rand des Blickfelds geifert ein Grinsen, du willst es nicht sehen. Sie sitzt am Tisch und schaut aus dem Fenster, ein Bein über dem andern, ein Fuß kreist langsam an Ort und Stelle. Du hast dich eigenhändig vor die Tür gesetzt, sie erfindet alles neu. 

 

Plötzlich, zwei Krähen, dicht vor deinen Augen, nur die Scheibe des Fensters dazwischen. Von unten schaust du in weit aufgespannte Flügel. Und wunderst dich, lachst. Sie fliegen weiter, verschwinden. Du sitzt still. Siehst dieses schwarze Gefieder noch eine Weile vor dir. Das kräftige Auf und Ab der Flügel, als ob du mitten in dieser Bewegung. Und fortgetragen.

 

Die Finger ordnen auf den Tasten. Sie spielen ein Spiel, doch was sind die Regeln? Hörst du das Flüstern des Spotts. Sich auskennen zwischen den Wörtern, wie kann das gehn. Die einen zu den andern, ohne ein Fortkommen. Eine Geschichte erzählen. Der Schwindel packt dich zwischen all diesen Buchstaben, sie stehen aufgereiht und viel zu stramm. Als ob kein einziger Zweifel möglich. Was will sie sagen, sich selber ertragen. Wie soll das gehn.

 

Der Kran schwenkt seinen Arm langsam von einer Seite zur andern, jemand sitzt in der Kabine und dirigiert die Last am langen Seil, die du nicht siehst. Was für eine Arbeit muss das sein, dort, abseits in der Höhe, ein Zuschauen und Abschweifen. Die Augen vielleicht weit unten auf das Hantieren der Bauleute gerichtet, Hände und Füße in Stellung. Doch die Gedanken? Und dann die Armierungseisen, Betonplatten, Gerüstteile, Leitungsrohre, wenn sie hoch über den Köpfen schwingen und wieder haargenau platziert werden müssen. Was nützt dir deine Abgeschiedenheit, wenn du wieder herunterkommst. Oder alles ist ganz anders. Sie sieht die Wolken vorbeiziehen, hört das Rauschen von Verkehr[1] unten auf der Straße, Hundegebell. Weshalb tust du nichts? Was soll sie denn tun, den Kran beschreiben? Welche Last, von wo bis wo. 

 

Du hast einen Namen und wohnst an einem Ort. Reicht das nicht? Nein. Ihr reicht es nicht. Sie glaubt weder ihren Namen. Noch einen Ort.

 

Aber sie hört nicht auf, da zu sein. 

 

Lou, könntest du nicht ein Ort sein für mich? Eine Richtung, damit ich erzählen kann. Wirst du da sein und mir glauben? 

 

Auf der Tastatur die Finger, sie streifen ab und zu durch die Zwischenräume, streichen über die Tasten, als ob sie blind wären, und bewegen nichts. Die Daumen über der Leertaste. Sei doch nicht so verbohrt. Beginn beim Naheliegenden. Als ob das einfacher zu sehen wäre. Oder lass die Finger machen. Du weißt ja nicht, was du da sagst.

 

Ich erzähl dir von einer Reise, Lou, ein paar Jahre ist’s her, mehr nicht. Ich musste damals weg, weit weg, und ging nach Argentinien. Stell dir vor, wir wären zusammen dort gewesen, wir zu zweit. Einmal, da wanderte ich durch die alten Wälder am Ende der Welt und am Rand des Meers. Wo es auch mitten im Sommer plötzlich schneien kann am heiterhellen Tag und du also immer auf alles gefasst sein solltest. Und plötzlich kommt ein Fuchs von hinten und läuft an dir vorbei, als ob ihr in einer andern Geschichte und du eine, die tatsächlich wahr. Der Fuchs läuft einfach weiter, fest und leicht, auf langen Beinen, ohne jede Eile. Das Licht ist ganz klar an diesem Tag zwischen den grauen Stämmen der Buchen. Der Wind in den kleinen, noch hellen Blättern. Du schaust ihm nach, versuchst zu begreifen, was doch ohne Bedeutung ist? Stehst ganz still. Der Fuchs verschwindet schließlich zwischen den Stämmen und Büschen, dann taucht er nochmals auf, bei den Steinen, wo das Meer beginnt. Und ist fort. Du bist allein und wanderst weiter. Und ganz verzaubert. Hoffst, auf keinen Menschen mehr zu stoßen, damit diese Welt dir nicht mehr genommen würde.

 

... (Kap.1)

 

 

Abstract

Die Protagonistin Fred hat ihre Erwerbsarbeit aufgegeben, weil sie den Lärm in Kopf und Leib nicht mehr aushält. Sie will schreiben, um Klarheit zu schaffen. Dafür muss sie sich an Vergangenes erinnern, was ihr nur gegen erheblichen Widerstand möglich ist. Sie braucht eine Ansprechperson und bestimmt dafür ihre schon längere Zeit verstorbene Schwester Louise. Sie beginnt beim Naheliegenden, ihrem Schreib- und Wohnort, erzählt von einer ihr noch lebhaft gegenwärtigen Reise nach Argentinien, von einem Ort am Ende der Welt, von Begegnungen mit Tieren und Landschaften, und nähert sich so stückweise weiter Zurückliegendem: dem Suizid ihrer Schwester, den Übergriffen, die sie als Kind durch deren Ex-Freund erfuhr, deren Erinnerung sie plötzlich noch weiter zurück zum Vater führt. Dazwischen schaut sie aus dem Fenster ihres Dachzimmers, sieht vorbeifliegende Vögel, einen Baukran, hört die Geräusche der Stadt und des Hauses, fährt mit dem Fahrrad durch die Strassen, durch den Wind, den Regen, hält dem grimmigen Ernst ihr Lachen entgegen, verpflegt sich aus dem Kühlschrank.

 

Für Fred kennzeichnend sind: eine Verwirrung, die in ihr lagert und sie ständig stört, die Mühe, ihr Sein als wirklich zu begreifen, die Flutungen, die ihren Leib heimsuchen, ein Spott, der unaufhörlich an allem frisst, was jetzt ist, das unverbrüchliche Verlangen, vorwärtszugehen, ein lustig grimmiger Trotz, das Postulat einer ureigenen Handlungsmacht. Und die Frage: Was ist zu sehen, wenn man schaut, und wie hält man es aus. Und wie geht Schauen. 

 

Textstruktur und Sprachrhythmus nehmen das Verstörende auf und suchen es mit der Leichtigkeit zu verbinden, ohne die nicht zu leben ist und die im schallenden Gelächter, im listenreichen Trotz oder im Flug der Mauersegler zu finden sein mag.

 

Der Text ist autobiografisch und ist es nicht. Die Autorin suchte eine Ordnung für Anwesendes.