Barbara Walder:

Und die Füße weit unten. Ein Langgedicht

 

erschienen im März 2020

beim Songdog Verlag

zu bestellen zum Beispiel ebendort: www.songdog.ch

 

und eingeladen an die Solothurner Literaturtage 2020

 

Zielsicher. Nehmen sie wahr was sich bewegt was ist. Ob sie selbst? Womöglich? Stattfindet. Ha. Sie muss dringend weg viel zu eng. Ist es hier. Restlos perforiert der Boden ein Wunder. Dass sie noch stehen die Füße aber viel zu lang tun sie es nun. Ohne Sinn und Zweck als ob sie wüsste. Als ob sie lesen könnte und nicht blind und blöd. Herumlungerte. Serendipityglück? Sie ereilen plötzlich? Ha. Sie muss da hinaus unbedingt. Und zwar schnell aber doch nicht mit leeren Händen so ein Mist.

 

-

 

Die roten Fäden munter weiterspinnend. Nicht ganz und gar verloren sich heillos verheddernd verknotend. Erschlagen von den lose umherschwirrenden Wortbauteilen. In der Manteltasche nesteln zwischendurch die Nase putzen den Haargummi neu spannen mit der Hand über einen Buchdeckel streichen das Halstuch zurechtzupfen den Wollpulli in die Hosen stopfen und immer diese. Monströse Selbstverständlichkeit. Als ob. Sie wirklich. Tatsächlich sicher seien. Was zu sagen sei. Und zu verstehen.

Besprechung von Nicola Bardola in der Lyrik-Revue

 

"Diese nur achtzigseitige nachhaltige Infragestellung von Normalität ist ein unheimlich präzises und sprachmächtiges Langgedicht- (oder Roman-)Debüt in einer packenden Atmosphäre umfassender Unsicherheit: Walders Worte selbst sind „Stolpersteine im Konturlosen“."

 

Interview anlässlich der Solothurner Literaturtage 2020

Interviewerin: Anna Kardos

 

Barbara Walder, welche Bedeutung haben Ihre Füsse für Sie?

Sie haben mich bis jetzt sehr verlässlich durchs Leben getragen, das weiss ich ausgesprochen zu schätzen.

 

In Ihrem literarischen Debüt „Und die Füsse weit unten“ spielen Füsse eine zentrale Rolle: „Füße tief unter ihr schreiten. Tragen. Zielstrebig und bestimmt unerschrocken und wagemutig. Wirken sie Wunder“. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Es fing beim Kopf an und der ist ja für die Protagonistin ein sehr prekärer Ort. Die Füsse sind dessen Antipode, sie garantieren ihr ganz eigentlich Bodenhaftung, aber auch Bewegungsfreiheit, also ein Fortkommen. Sie lassen sie in einem sehr konkreten Sinn eine Handlungsmacht spüren, die sie so sonst nicht erlebt.

 

Die Füsse scheinen das einzig Stabile, einzig Verlässliche an Ihrer Protagonistin zu sein. Diese ist offenbar durch einen Vorfall in der Kindheit traumatisiert, der ihr ganzes Leben aus dem Lot bringt. Eine schwere Thematik. Weshalb haben Sie sich für Ihr Debüt dafür entscheiden?

Mich interessieren einfach die Strategien, die ein Mensch entwickelt, um mit seinen Begrenzungen und Versehrtheiten durchs Leben zu kommen.

 

Wendungen wie „sie wurde nicht gefragt“; Spottfrass oder die Füsse unten sowie der Kopf weit oben tauchen wiederholt in Ihrem Text auf, rhythmisieren ihn, rücken ihn in Richtung Lyrik. Sehen Sie sich eher als Autorin oder als Dichterin?

(Und warum?)

Also das ist so eine Sache mit den Namen, welche und weshalb und wer verleiht sie wem. Aber man kommt keinesfalls ohne aus, das sehe ich auch so. Man kann sie sich still und heimlich zuzwinkern oder gross vors Fenster nageln. Am liebsten sehe ich mich als freie Künstlerin (frei nicht zuletzt in der Anwendung des Begriffs), die schreibt und ab und zu auch Bilder macht. Und wenn mich jemand mit Dichterin oder Autorin anspricht, dann fühle ich mich unerhört geadelt.

 

Sie fotografieren auch, dabei wählen Sie bewusst Ausschnitte aus, denken visuell, müssen stark mit dem Moment arbeiten. Welchen Einfluss hat das auf Ihr Schreiben?

Ich lasse mich wohl grundsätzlich sehr vom Moment leiten. Es gibt Fragen, Zweifel, Irritationen, Neugierde, die einen grundsätzlich umtreiben und die werden ja dauernd irgendwie gespiesen, modifiziert und so weiter von Dingen, die man wahrnimmt. Und so suche ich, mit Text und/oder Bild, die Form, die Gestalt, die dann die Geschichte (vielleicht nur eine Satzlänge lang) erzählt, die mich interessiert. Und wenn mir das gelingt, dann gibt das eine herrliche Festigkeit unter die Füsse.

 

Auffallend ist, wie aussergewöhnlich und eigenwillig Sie die Interpunktion einsetzen: „Sie gehen. Weiter wo. Man eigentlich doch schon lange. Aufgehört hätte immer fort den Kopf in der Höhe.“ Sind die üblichen Nebensätze und Sätze zu starr dafür, was Sie erzählen möchten?

Zu Beginn war es ein Spiel, dann wurde es immer ernster. Punkte sollen ja das Satzende markieren als kleinste abgeschlossene Texteinheit und rhythmisieren den Lesefluss. Aber was, wenn nun die Irritation der Protagonistin gegenüber der Sprache sehr gross ist, wenn Sprache für sie immer wieder in eine nur schwer entzifferbare Unordnung gerät?

 

Ein zentraler Begriff in Ihrem Text ist „Spottfrass“. Ein Begriff, dessen negative Bedeutung man unmittelbar spüren kann. Er scheint aber eine Wortschöpfung von Ihnen zu sein. Wie kamen Sie auf diesen Begriff?

Ich wüsste das ehrlich gesagt nicht mehr, ob ich den Spottfrass erfunden oder irgendwo gefunden habe, mittlerweile ist er mir so vertraut, dass ich glaube, ihn schon immer gekannt zu haben. Er schien mir einfach in seiner Kompaktheit sehr geeignet, dieses gierige Verschlingen zu veranschaulichen, das der Spott mit zuvor doch eben noch Festem betreibt.

 

Der Blick von aussen auf jemanden; das Ich (auf der einen Seite) und die Anderen (auf der anderen, unerreichbaren Seite) - diese Spaltung prägt Ihren Text. Ein „Miteinander“ scheint es nicht zu geben. Ist das auch ein Spiegel der heutigen Gesellschaft?

Das würde ich glaub nicht unbedingt so sagen. Das Potenzial für ein Miteinander auch heute hat sich ja gerade im Corona-Lockdown eher gezeigt. Nein, es ist hier vor allem eine Eigenart der Figur, die sich sehr schwertut, ein Miteinander zu finden.

 

Die Protagonistin in Ihrem Text fühlt sich wertlos, ohne Ziele, unfähig und verloren mitten unter Menschen. Ist das auch eine Kritik am Selbstoptimierungszwang, Machbarkeitszwang von uns Menschen heute, immer zielstrebig, selbstoptimierend sein zu müssen?

Selbstoptimierung ist ein furchtbares Wort, nicht? Als ob klar wäre, in Bezug worauf dieses angestrebte Optimum gelte. Die Frage nach der Möglichkeit von Identität und wovon man auszugehen hat oder wohin zu gehen, sind sicher zentrale Fragen der Protagonistin. Die dieses ganze Bemühen um eine glatt polierte Oberfläche dann letztlich so ja gar nicht interessiert.

 

Sie waren eine Zeitlang Bäuerin, haben drei Kinder. Hat das Ihr literarisches Schaffen eher geerdet oder ist dieses umgekehrt ein Gegenpol zum handfesten Geerdetsein?

Schwierige Frage. Kinder verursachen sicher eine spezielle Art der Bodenhaftung, weil sie einfach ganz konkret einem als eigene kleine Menschen gegenüberstehen, für die man eine nicht wegzudiskutierende Verantwortung hat. Wohingegen das mit der Bäuerin etwas völlig anderes ist und mir fehlte übrigens auch weitgehend ein romantisch geprägter Zugang. Wenn ein Satz gelingt, eine Kürzestgeschichte, ein Bild, wenn etwas ausgedrückt werden kann, was zuvor nur gestaltlos im Innern gepocht hat, das bewirkt wie gesagt nochmals eine ganz andere Art von Festigkeit.

 

Nach der Lektüre dachte ich: Eine derart existenziell erschütterte Persönlichkeit wie die Hauptfigur müsste in der Realität in psychiatrische Behandlung. Wie haben Sie die Figur entwickelt? Hatten Sie Vorbilder?

Dass die Geschichte Sie offenbar nicht kaltliess, freut mich sehr. Gegen psychiatrische Behandlungen gibt’s ja grundsätzlich nichts einzuwenden, das spielt aber im Text ja eigentlich keine Rolle. Das eigene Interesse, wie auch immer es zustande kam, prägt wohl grundlegend irgendwie auch die Richtung des Vorstellungsvermögens?

 

Sie betreiben einen Blog. Darin schreiben Sie: Sobald man etwas erzählt, mag es noch so wahr sein, betreibt man Fiktion. Immer.“. Versucht Ihre Protagonistin sich ebenfalls mit Sprache ein anderes Leben zu erschreiben?

Nein, eigentlich kein anderes, nur ihr eigenes. Erlebtes liegt ja nie einfach so da wie ein Stück begehbare Landschaft, wenn man es anfängt zu erzählen, muss man dauernd Entscheidungen treffen, wie man welche Sache nun zur Sprache bringt, Erinnerung ist ja kein zusammenhängender, umfassender hochaufgelöster Film, ganz im Gegenteil. Das meine ich mit Fiktion betreiben, jedes Schreiben ist ein Erfinden, indem man zuvor Unbenanntes in ganz bestimmte Wortfolgen bringt, Zusammenhänge schafft, auswählt und weglässt. ich empfinde das immer wieder als einen ganz grundlegend unerhörten Akt.

 

Bis zum Schluss findet die Figur keinen wirklichen Ausweg aus ihrer Not. Weshalb nicht?

Sie ist halt einfach unterwegs. Und man teilt ein Stück Weg mit ihr. Wer weiss, was ihr nicht schon im nächsten Moment in den Sinn kommen oder widerfahren könnte?

 

 

3 Podcasts mit Bild

Lesungen aus dem Buch